Ayelet Gundar-Goshen wird selbst bei der Matinee anwesend sein. Die Autorin wurde 1982 in Tel Aviv geboren, wo sie auch heute lebt– nicht nur als Schriftstellerin, sondern auch als praktizierende Psychologin, was sich zweifellos auf ihr Schreiben auswirkt. Gundar-Goshens Stil ist geprägt von einer außerordentlich präzisen Beobachtungsgabe, die sich vor allem in einer differenzierten und vielschichtigen Schilderung der Figuren niederschlägt: Ihre jugendliche Protagonistin bleibt eben nicht das ewige Mauerblümchen, auf das der Glanz der schöneren Schwester abstrahlen soll, indem sich Nuphar deren Kleidungsstücke stibitzt. Nuphar blüht förmlich auf, denn nach der Begegnung mit dem eitlen Sänger Milner avanciert sie zu einem Liebling der Medien. Dass dieser Ruhm auf einer falschen Anschuldigung beruht, ist ihr zwar jederzeit bewusst, ja, diese bittere Wahrheit wird ihr geradezu ins Gewissen gehämmert, weil der Zusammenprall der beiden so verschiedenen Charaktere von dem schlaksigen Avie Maimon beobachtet wird, der nicht minder gehemmt ist als die junge Frau. Doch beide verstricken sich in einem Geflecht aus Schuld und Scham, dem sie nur entkommen können, indem sie unbeirrt immer weiter und immer unverfrorener lügen.
Dieses Geschehen spielt sich ab vor der Kulisse einer überhitzten Mediengesellschaft, die in den Talkshows und Chatrooms von Fernsehen und sozialen Netzwerken unermüdlich auf der Jagd ist nach dem nächsten Skandal, nach der noch wilderen Story, die die vorangegangene in den Schatten stellt. Hier läuft ein Betrieb aus dem Ruder, der die nüchterne Wahrheit als Fake News denunziert und an die Lüge glauben will, solange sie für genug Empörung sorgt. Ayelet Gundar-Goshens Roman könnte zeitgemäßer nicht sein – mitunter liest er sich wie ein böser, scharfer Kommentar auf unsere Wirklichkeit, in der die Grenze zwischen Richtig und Falsch im Zustand immer währender Erregung verschwimmt.
Vor allem aber zeigt das Buch, was es in den Beteiligten anrichtet, wenn die attraktive, nützliche Unwahrheit als das Maß aller Dinge ausgegeben wird, wenn die Sehnsucht nach äußerer Anerkennung über die Ehrlichkeit siegt. Das macht die Tiefe dieses Romans aus: Er verbindet eine profunde Gesellschaftskritik mit einem jederzeit glaubwürdigen Psychogramm. Nuphar schwitzt sogar anders als sonst, wenn sie lügt, und dieser Schweiß riecht dann auch anders. Bis ins Körperliche hat sich die unscheinbare Bedienung aus der Eisdiele verändert. Dabei ist der Ton in Gundar- Goshens Roman von der ersten Seite an unangestrengt leicht, so als könnte die Autorin noch die größte Ungeheuerlichkeit mit einer satirischen Pointe abfedern. Oder mit einer poetischen Metapher, in der sich Nuphars Traum von einem neuen Leben trügerisch verdichtet: Wie eine Perserkatze streicht ihr die Lüge dann um die Beine.
Schuld und Scham lässt sich nur durchs Lügen entkommen
Auch wenn Tel Aviv mit keinem Wort erwähnt wird, so sind die Stadt und das Land Israel dennoch stets präsent. Die Hitze, die salzige Luft, das Meer voller Plastiktüten und Seeanemonen, das sich leert, wenn die Tage kühler werden – Gundar-Goshen beschreibt beiläufig, aber bildkräftig, auch wenn es gilt, den Gedenktag für einen ermordeten Ministerpräsidenten zu feiern, oder wenn Nuphar auf Klassenfahrt zu den Konzentrationslagern im Osten Europas geht. Ihre Geschichte, die auf dieser Reise noch einmal eine überraschende Wendung nimmt, findet nicht im luftleeren Raum statt. Sie ist geerdet im Hier und Jetzt, und genau das verleiht ihr Kraft und nie nachlassende Spannung.