Was die Eltern aus Somalia erzählen
Nadifa Mohameds »Der Garten der verlorenen Seelen«
ist das Buch für die Stadt und die Region 2020
von Frank Olbert
Somalia gilt als einer jener Staaten dieser Erde, die diesen Namen im Grunde nicht verdienen – ein “failed state”. Schlimmer geht es nur im Jemen zu, Clans und Warlords reißen die Macht an sich, es herrscht Krieg im Inneren wie gegen äußere Feinde, von den Institutionen wie Polizei, Gerichtsbarkeit oder Militär kann sich die Bevölkerung keinen Schutz erhoffen: Im Gegenteil, wie bereits der Beginn von Nadifa Mohameds Roman »Der Garten der verlorenen Seelen« zeigt. Dort müssen die Einwohner der Stadt Hargeisa frühmorgens im Stadion antreten, um dem Diktator zu huldigen. Als die greise Kawsar dabei das Mädchen Deqo vor der Willkür der Soldaten in Schutz nimmt, wird sie selbst durch die ehrgeizige Offizierin Filsan schwer verletzt. Das Leben in Hargeisa ist lebensgefährlich, jeden Tag.
Kawsar, Deqo, Filsan – fast wie mit fliegenden Filmschnitten lässt Nadifa Mohamed zum temporeichen Auftakt ihres Romans die drei weiblichen Hauptfiguren und damit auch drei Generationen aufeinanderprallen. Es ist eine Begegnung wie ein folgenschwerer Unfall, und auch, wenn sich im Mittelteil des Buches ihre Geschichten in ihre jeweils eigene Umlaufbahn begeben, so führt die Autorin sie zum Ende hin wieder zusammen. Jede für sich, auf schicksalhafte Weise miteinander verknüpft, so gestaltet sich dieses zugleich anonyme und intime Netz, dieses beziehungslose Beziehungsgeflecht unterm Terror.
Wer eine Ahnung davon bekommen möchte, vor was und wem die Menschen die Flucht ergreifen, die sich über gefährliche Landrouten und das Meer nach Europa retten wollen, der sollte Nadifa Mohameds »Der Garten der verlorenen Seelen« lesen.