Die graue Maus und der Ex-Star

„Lügnerin“ von Ayelet Gundar-Goshen steht im Mittelpunkt der Leseaktion „Buch für die Stadt“

Literaturwoche vom 01. - 06. Dezember

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Roman von Ayelet Gundar-Goshen „Lügnerin“
ist das neue „Buch für die Stadt“

von Frank Olbert

Das Ende des Sommers naht, und mit der Hitze schwinden die Hoffnungen, die Nuphar in seine langen und schwülen Tage gesetzt hat. Sie ist immer noch Jungfrau, sie steht immer noch hinter der Theke der Eisdiele, die sie so gern für ein aufregenderes Leben verlassen würde, und sie findet sich noch immer zu pummelig, zu sommersprossig und zu langweilig für die Jungs, die in der Schule angesagt sind.

Oh ja, Nuphar ist nicht mehr Kind und noch nicht ganz Frau, und in diesem Alter kommt man bekanntlich auf dumme Gedanken. Die Gelegenheit dazu bietet sich, als Avischai Milner die Eisdiele betritt, ein nicht mehr ganz taufrischer, nein, in Wahrheit ein ziemlich abgehalfterter Schlagersänger, dessen überlebensgroßes Ego allen Misserfolgen zum Trotz keinen Schaden nimmt. Die graue Maus und der Ex-Star voller Allüren – aus dieser Konfrontation entspinnt

Der Stil ist geprägt von einer genauen Beobachtungsgabe

Ayelet Gundar-Goshen ihren Roman „Lügnerin“, mit dem sie konsequent der Devise folgt, die kleinstmögliche Banalität in der größtmöglichen Katastrophe enden zu lassen. „Lügnerin“ wird in diesem Jahr das „Buch für die Stadt“ sein, der gemeinsamen Leseaktion von „Kölner Stadt-Anzeiger“ und Literaturhaus. Eine Sonderausgabe des Verlags Kein & Aber ist in Vorbereitung und wird demnächst zu einem Vorzugspreis erscheinen. Eine Matinee im Kölner Schauspielhauseröffnetam1. Dezembereine Aktionswoche, an der sich Veranstalter aus Köln und der Region beteiligen können.

Ayelet Gundar-Goshen wird selbst bei der Matinee anwesend sein. Die Autorin wurde 1982 in Tel Aviv geboren, wo sie auch heute lebt– nicht nur als Schriftstellerin, sondern auch als praktizierende Psychologin, was sich zweifellos auf ihr Schreiben auswirkt. Gundar-Goshens Stil ist geprägt von einer außerordentlich präzisen Beobachtungsgabe, die sich vor allem in einer differenzierten und vielschichtigen Schilderung der Figuren niederschlägt: Ihre jugendliche Protagonistin bleibt eben nicht das ewige Mauerblümchen, auf das der Glanz der schöneren Schwester abstrahlen soll, indem sich Nuphar deren Kleidungsstücke stibitzt. Nuphar blüht förmlich auf, denn nach der Begegnung mit dem eitlen Sänger Milner avanciert sie zu einem Liebling der Medien. Dass dieser Ruhm auf einer falschen Anschuldigung beruht, ist ihr zwar jederzeit bewusst, ja, diese bittere Wahrheit wird ihr geradezu ins Gewissen gehämmert, weil der Zusammenprall der beiden so verschiedenen Charaktere von dem schlaksigen Avie Maimon beobachtet wird, der nicht minder gehemmt ist als die junge Frau. Doch beide verstricken sich in einem Geflecht aus Schuld und Scham, dem sie nur entkommen können, indem sie unbeirrt immer weiter und immer unverfrorener lügen.

Dieses Geschehen spielt sich ab vor der Kulisse einer überhitzten Mediengesellschaft, die in den Talkshows und Chatrooms von Fernsehen und sozialen Netzwerken unermüdlich auf der Jagd ist nach dem nächsten Skandal, nach der noch wilderen Story, die die vorangegangene in den Schatten stellt. Hier läuft ein Betrieb aus dem Ruder, der die nüchterne Wahrheit als Fake News denunziert und an die Lüge glauben will, solange sie für genug Empörung sorgt. Ayelet Gundar-Goshens Roman könnte zeitgemäßer nicht sein – mitunter liest er sich wie ein böser, scharfer Kommentar auf unsere Wirklichkeit, in der die Grenze zwischen Richtig und Falsch im Zustand immer währender Erregung verschwimmt.

Vor allem aber zeigt das Buch, was es in den Beteiligten anrichtet, wenn die attraktive, nützliche Unwahrheit als das Maß aller Dinge ausgegeben wird, wenn die Sehnsucht nach äußerer Anerkennung über die Ehrlichkeit siegt. Das macht die Tiefe dieses Romans aus: Er verbindet eine profunde Gesellschaftskritik mit einem jederzeit glaubwürdigen Psychogramm. Nuphar schwitzt sogar anders als sonst, wenn sie lügt, und dieser Schweiß riecht dann auch anders. Bis ins Körperliche hat sich die unscheinbare Bedienung aus der Eisdiele verändert. Dabei ist der Ton in Gundar- Goshens Roman von der ersten Seite an unangestrengt leicht, so als könnte die Autorin noch die größte Ungeheuerlichkeit mit einer satirischen Pointe abfedern. Oder mit einer poetischen Metapher, in der sich Nuphars Traum von einem neuen Leben trügerisch verdichtet: Wie eine Perserkatze streicht ihr die Lüge dann um die Beine.

Schuld und Scham lässt sich nur durchs Lügen entkommen

Auch wenn Tel Aviv mit keinem Wort erwähnt wird, so sind die Stadt und das Land Israel dennoch stets präsent. Die Hitze, die salzige Luft, das Meer voller Plastiktüten und Seeanemonen, das sich leert, wenn die Tage kühler werden – Gundar-Goshen beschreibt beiläufig, aber bildkräftig, auch wenn es gilt, den Gedenktag für einen ermordeten Ministerpräsidenten zu feiern, oder wenn Nuphar auf Klassenfahrt zu den Konzentrationslagern im Osten Europas geht. Ihre Geschichte, die auf dieser Reise noch einmal eine überraschende Wendung nimmt, findet nicht im luftleeren Raum statt. Sie ist geerdet im Hier und Jetzt, und genau das verleiht ihr Kraft und nie nachlassende Spannung.

Matinee zum Buch für die Stadt - »Lügnerin« von Ayelet Gundar-Goshen

So 01.12.2019 – 12:00 Uhr
Depot 1

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Zusammenfassung (Der Roman)

Wenn derzeit häufig von Fake News und simulierter Wirklichkeit die Rede ist, so ist „Lügnerin“ das Buch der Stunde. Die israelische Autorin Ayelet Gundar-Goshen erzählt darin von einer 17-Jährigen, die eine falsche Anschuldigung zu einem Medienstar avancieren lässt – wobei die Aufregung nur so lange dauert, wie man sich in den nächsten Empörungszustand stürzen kann

„Lügnerin“ ist in diesem Jahr das „Buch für die Stadt“, der Leseaktion des „Kölner Stadt-Anzeiger“ und des Literaturhauses. Bei einer Matinee im Kölner Schauspielhaus wird Ayelet Gundar-Goshen am 1. Dezember um 12 Uhr selbst Auskunft zu ihrem Roman geben, der im Verlag Kein&Aber demnächst in einer Sonderausgabe zum Vorzugspreis erscheint.

Wer in der Woche bis zum 8. Dezember eine Veranstaltung zum „Buch für die Stadt“ beisteuern möchte, ist sehr willkommen und gebeten, sich zu melden. Unterstützt wird die Literatur-Initiative außer vom Verlag Kein & Aber vom Unternehmen JTI. Gundar-Goshen wurde 1982 in Tel Aviv geboren, wo sie noch heute lebt – nicht allein als Schriftstellerin, sondern auch als Psychologin. Und psychologischer Tiefgang ist es in der Tat, der ihre Bücher auszeichnet, auch den Roman „Löwen wecken“, der für eine Fernsehserie verfilmt wird. „Lügnerin“erweist sich darüber hinaus als scharfsichtige Analyse einer Gesellschaft, die der attraktiven Lüge den Vorzug vor der Wahrheit gibt.

Veranstaltungen

Es gibt derzeit keine bevorstehenden Veranstaltungen.

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